


Eberhard Zeidler
* 6.10.1940 - † 18.11.2016
Das Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften trauert um seinen Gründungsdirektor.
Eberhard Zeidler wurde am 6. Oktober 1940 in Leipzig geboren. Im Jahre 1959 begann er das Studium der Mathematik an der Universität Leipzig. Diese Wissenschaft hat ihn sein ganzes Leben begeistert. Sein Enthusiasmus konnte ihm über schwierige Zeiten hinweghelfen, insbesondere als er 1961 aus politischen Gründen und wegen seiner aufrechten Haltung exmatrikuliert wurde und drei Jahre lang als Transportarbeiter und Bausoldat arbeiten musste und erst 1964 das Studium wieder aufnehmen durfte. Er erwarb dann 1967 sein Diplom und wurde schon im gleichen Jahr bei Herbert Beckert mit seiner Dissertation “Über eine Klasse nichtlinearer singulärer Randwertaufgaben der Funktionentheorie mit Symmetrieverhalten” promoviert, und im Jahre 1970 habilitierte er sich. Er wurde schnell ein Mathematiker, der die wissenschaftliche Entwicklung in Leipzig prägte, durch seine originellen und bedeutenden Beiträge zur Verzweigungstheorie, zu freien Randwertproblemen, den Navier-Stokes-Gleichungen der Strömungsmechanik, positiven Operatoren, Lyusternik-Schnirelman-Theorie und Variationsungleichungen, seiner axiomatischen Theorie des Abbildungsgrades und seinen Ansätzen zur numerischen Funktionalanalysis. In diesen Jahren entstanden insbesondere auch seine eindrucksvollen Bücher zur Nichtlinearen Funktionalanalysis, die in dem Gebiet neue Maßstäbe gesetzt haben. Er konnte dann einen längeren Forschungsaufenthalt an der University of Wisconsin in Madison verbringen, und in den letzten Jahren der DDR erhielt er Einladungen an fast alle bedeutenden mathematischen Forschungsstätten der Welt.
Nach der Wende 1989 setzte er sich mit großer Kraft und Energie für den und bei dem Umbau der Universität Leipzig ein. Eberhard Zeidler, der Chemiker Cornelius Weiss und der Physiker Adolf Kühnel gaben am 11. Juni 1990 als “Initiativgruppe zur demokratischen Erneuerung der Universität” eine gemeinsame Erklärung ab, in welcher auf die politische Verantwortung der Universität und ihre eigene Schuld an dem begangenen Unrecht gegenüber Studenten, Mitarbeitern und Hochschullehrern hingewiesen wurde. Diese Erklärung forderte von dem noch immer über den Umbruch der friedlichen Revolution hinweg amtierenden Rektorat eine Erneuerung von unten nach oben. Als diese Erklärung trotz 250 weiteren Unterschriften von Universitätsangehörigen noch immer keine Reaktion erbrachte, folgte neun Tage später eine schriftliche Rücktrittsaufforderung von zehn Mathematikprofessoren an Rektor und Universitätsleitung. Dieses war der letztlich entscheidende Schritt zur eigentlichen Erneuerung der Universität. Dieses couragierte Handeln auf der Basis eines besonderen Gefühls für Tradition, mit einem optimistischen Blick in die Zukunft und in der Verantwortung der Fürsorge für die nachfolgenden Generationen war exemplarisch für das gesamte Wirken von Eberhard Zeidler in Wissenschaft und Gesellschaft.
Seinem wissenschaftlichen und menschlichen Ansehen war es zu verdanken, dass im Jahre 1996 das Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften in Leipzig gegründet wurde, als zweites der Mathematik gewidmete Max-Planck-Institut nach dem 1980 von Friedrich Hirzebruch gegründeten Bonner Institut, dessen Einsatz übrigens auch sehr hilfreich bei der Leipziger Gründung war. Unter Zeidlers Leitung gewann dieses neue Institut schnell großes wissenschaftliches Ansehen in Leipzig, Deutschland und der Welt. Dies hat sicherlich auch wesentlich zur Verankerung unseres Faches, der Mathematik, in der Max-Planck Gesellschaft beigetragen. Seine wissenschaftliche Begeisterung gehörte insbesondere in diesen Jahren der Verbindung von Mathematik und Theoretischer Physik. Dieser widmete er auch sein letztes grandioses Buchprojekt, das er aber leider nicht mehr vollenden konnte. In diesem Projekt, von dem bisher drei Bände mit insgesamt mehr als 3000 Seiten erschienen sind, geht es um die mathematische Darstellung und Durchdringung der Quantenfeldtheorie, und dies bietet ihm die Gelegenheit, das gesamte Spektrum der reinen Mathematik zu entfalten und so die formale Struktur der theoretischen Hochenergiephysik zu entwickeln.
Im Jahre 2007 trat er formal in den Ruhestand, verfolgte aber dieses große wissenschaftliche Projekt weiter mit großer Energie und Zielstrebigkeit, bis schließlich Krankheit und Tod ihm dies verwehrten.
Die Darstellung der Mathematik in ihrer ganzen Breite war ihm auf allen Ebenen ein zentrales Anliegen, nicht nur im Zusammenhang mit der theoretischen Physik. Neben seinem schon erwähnten fünfbändigen Werk zur Nichtlinearen Funktionalanalysis ist hier insbesondere auch sein neueres zweibändiges Werk zur Angewandten Funktionalanalysis zu nennen. Auch hat er durch seine souveräne Kenntnis der Mathematik in verschiedenen Werken auch die geschichtliche Perspektive unserer Wissenschaft entwickelt. Die verschiedenen Ausgaben seines Taschenbuches der Mathematik und dessen erweiterter Version, des vierbändigen Handbuches der Mathematik, in denen er dies umgesetzt hat, haben eine außerordentliche internationale Verbreitung gefunden und vielen Generationen von Wissenschaftlern, Anwendern und anderen an der Mathematik interessierten Personen Zugang zu unserer Wissenschaft verschafft. Er war seit 1994 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, und er war von 2007 bis 2010 auch Senator und Ombudsman der Sektion Mathematik der Leopoldina. Er war ein gesuchtes Mitglied in vielen wissenschaftlichen Beiräten und Auswahlgremien. Im Jahre 2006 erhielt er den Alfried-Krupp-Wissenschaftspreis und im Jahre 2014 den Wissenschaftspreis der Teubner-Stiftung zur Förderung der Mathematischen Wissenschaften. Im Jahre 2006 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Vietnamesischen Akademie der Wissenschaften in Hanoi verliehen, nachdem ihm diese Ehrung bereits im Jahr 2004 zuerkannt worden war.
Eberhard Zeidler hat eine Reihe von wissenschaftlichen Schülerinnen und Schülern hervorgebracht. Zu diesen gehört auch die derzeitige Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung, Frau Professor Johanna Wanka. In Festreden erinnert sich die Bundesministerin gerne an den in ihrem eigenen Studium wichtigsten und für sie eindrucksvollsten akademischen Lehrer und an dessen bemerkenswerte wissenschaftliche und menschliche Qualitäten.
Dabei lassen sich der Mensch und der Wissenschaftler Eberhard Zeidler eigentlich nicht trennen. Er lebte für und durch die Wissenschaft, und er konnte gleichzeitig seine große Menschlichkeit in diese Wissenschaft einbringen. Er konnte wie nur wenige die Mathematik und die Physik in ihrer Gesamtheit und in ihrem inneren Zusammenhang erfassen. Seine wissenschaftliche Leistung und sein geistiges Vermächtnis liegen dabei weniger im Lösen spezieller schwieriger Detailprobleme als in der großen Synthese und Zusammenschau. Nicht nur unsere Wissenschaft droht immer wieder in Einzeldisziplinen zu zersplittern, die sich untereinander nichts mehr zu sagen haben und sich auch nicht mehr gegenseitig verstehen. Wir brauchen daher große Individuen wie Eberhard Zeidler, die die Einheit der Wissenschaft sehen und überschauen und die diese auch mit großer Leidenschaft und Begeisterung vermitteln können.
Eberhard Zeidler hinterlässt seine Ehefrau Christine, deren selbstlose und großartige Unterstützung wesentlich für seine vielfältigen Erfolge gewesen ist.
Seine menschliche Großzügigkeit, Uneigennützigkeit und Warmherzigkeit, sein großartiger Einsatz beim Aufbau unseres Institutes, seine Begeisterung für gute und tiefe Wissenschaft, sein unermüdliches, nie unterbrochenes Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis, seine Führungsstärke und seine Visionen werden für uns immer große Vorbilder bleiben.
Erweiterte Version
Jost, Jürgen: Eberhard Zeidler 1940-2016
In: Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, 120 (2018) 3, p. 221-228
online verfügbar: DOI: 10.1365/s13291-017-0175-4

Quantum Field Theory
A Bridge between Mathematicians and Physicists
- Quantum Field Theory I: Basics in Mathematics and Physics (2006)
- Quantum Field Theory II: Quantum Electrodynamics (2009)
- Quantum Field Theory III: Gauge Theory (2011)