

Elastische Kontaktmodelle für DNA-Moleküle
von Friedemann Schuricht
Aktueller Forschungsschwerpunkt
Der Untersuchung von DNA-Molekülen wird gegenwärtig besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei steht die Entschlüsselung des genetischen Codes im Mittelpunkt. Man hat lange Zeit geglaubt, dass die Speicherung dieses Codes die wesentliche Funktion der DNA ist und dass dessen Decodierung den entscheidenden Schlüssel zum Verständnis der Mechanismen des Lebens liefert. Inzwischen musste man jedoch feststellen, dass insbesondere beim Menschen die DNA weit weniger Informationen codiert als ursprünglich angenommen, und dass somit andere Mechanismen von größerer Bedeutung sind als bisher vermutet. Insbesondere ist klar geworden, dass man DNA-Moleküle auch als mechanischen Träger des Codes sehen muss, und dass die mechanischen Eigenschaften dieser langen Molekülketten für Funktionen wie Replikation, Rekombination und Transkription entscheidend sind.
Mechanische Bedeutung der Doppelhelix
Bekanntlich bilden DNA-Moleküle eine Doppelhelix, d.h. zwei spiralenförmig umeinander gewundene Zuckerphosphatstränge sind durch Basenpaare miteinander verbunden (Abb. 1a). Während man in den Zuckerphosphatsträngen starke Bindungen zwischen den Atomen vorfindet, so werden die Basenpaare, ähnlich den Atomen eines Kristallgitters, durch schwache intermolekulare Bindungen zusammengehalten. Diese spezielle Struktur und die extreme Länge im Vergleich zur Dicke bewirken, dass sich DNA-Moleküle wie elastische Fäden mit Biege- und Torsionswiderstand verhalten (Abb. 1b). Das mechanische Verhalten solcher Moleküle wird heute intensiv untersucht, um die damit zusammenhängenden Prozesse in der Zelle besser zu verstehen. Abb. 1: (a) DNA-Moleküle haben starke Bindungen zwischen den Atomen in den Zuckerphosphatsträngen, welche die Doppelhelix bilden, und schwache intermolekulare Bindungen zwischen den Basenpaaren. (b) Aufgrund der speziellen Struktur verhalten sich DNA-Moleküle wie elastische Fäden.
Ringförmige DNA-Moleküle
Zur großen Überraschung hat man in den 60er Jahren beobachtet, dass sich z.B. in den kernlosen Zellen der Bakterien oder bei manchen Viren die beiden Enden eines DNA-Moleküls häufig verbinden und ringförmige Strukturen bilden, die auch verknotet sein können (Abb. 2a). Weiterhin hat sich gezeigt, dass gewisse Enzyme das ringförmige Molekül aufschneiden und in veränderter Weise wieder zusammenfügen. Die Enzyme Topoisomerase und DNA-Gyrase können auf diese Weise im Molekül Torsionsspannungen relaxieren bzw. erzeugen. Experimente haben gezeigt, dass ohne DNA-Gyrase solche wichtigen Prozesse wie z.B. die Verdopplung der DNA zusammenbrechen. Das enzymatische Erzeugen von Torsionsspannungen spielt somit eine lebenswichtige Rolle.
Superspiralisierung und Selbstkontakt
Als Konsequenz von Torsionsspannungen in ringförmigen Molekülen kommt es zur Superspiralisierung (supercoiling), d.h. das Molekül wickelt sich aufgrund der Spannungen um sich selbst - ein Effekt den jeder von verdrehten Elektrokabeln kennt (Abb. 2b). Die globale Gestalt der DNA kann aber auch durch das Andocken geeigneter Molekülkomplexe, welche lokal eine bestimmte Form des Moleküls erzwingen, verändert werden. Bei diesen Prozessen beobachtet man das wichtige Phänomen, dass sich bestimmte Bereiche der DNA berühren können. Es zeigt sich, dass derartige Deformationen biochemisch relevant sind. Ein besseres Verständnis der Superspiralisierung ringförmiger DNA, welche wir genauer studieren wollen, liefert letztendlich wichtige Informationen über das mechanische Verhalten von DNA-Molekülen insgesamt.
Abb. 2: DNA-Molekül pUC18 mit 2686 Basenpaaren, Länge ca. 900 nm (Bilder Alicja Stasiak, Lausanne): (a) relaxierte Ringform, (b) Superspiralisierung, (b') schematische Darstellung des Moleküls in (b).
Mathematisches Modell
Zur Untersuchung des mechanischen Verhaltens von DNA-Molekülen idealisiert man diese als elastische Stäbe (Abb. 1b), wobei Modelle unterschiedlicher Komplexität verwendet werden. Eine grundlegende Schwierigkeit bei der mathematischen Analyse und der numerischen Simulation bildet die Forderung, dass sich das Molekül nicht selbst durchdringen kann - eine Forderung die bei der Untersuchung elastischer Körper meist vernachlässigt wird. Für elastische Stäbe kann man diese Situation entweder mit Hilfe von Abstoßungspotentialen modellieren, welche durch die elektrisch geladene DNA tatsächlich entstehen, oder durch sogenannte hard core Potentiale, welche bei Unterschreitung eines Mindestabstandes der Molekülstränge unendliche Abstoßungskräfte erzeugen und für DNA eine gute Approximation liefern. Beide Varianten sind mathematisch schwierig zu behandeln, und die Entwicklung von Methoden zur Behandlung allgemeiner Kontaktprobleme in der nichtlinearen Elastizitätstheorie steht erst am Anfang. Numerische Simulationen scheitern häufig, da sich einerseits Kontaktkräfte in kleinen Bereichen konzentrieren können und andererseits die Algorithmen sehr empfindlich auf Ungenauigkeiten bei der Berechnung des Kontaktbereiches reagieren. Um diese Schwierigkeiten zu beherrschen, sollte die Problematik zunächst theoretisch besser verstanden werden.
Mathematische Analyse
Unter Verwendung einer allgemeinen Theorie zur Beschreibung elastischer Stäbe wurde der Fall von hard core Potentialen studiert, d.h. ringförmige (und evtl. verknotete) DNA-Moleküle werden als elastische Stäbe vorgegebener Dicke angesehen, welche sich im geometrischen Sinn nicht durchdringen können. Bereits die mathematische Formulierung des Problems ist nicht sofort klar. Man benötigt einerseits eine analytisch zugängliche mathematische Bedingung zur Verhinderung von Selbstdurchdringung und andererseits eine Gleichgewichtsbedingung, die mit der Minimierung der zugeordneten Energie konsistent ist. Ohne Selbstberührung ist diese Frage einfach zu beantworten. Andernfalls sind neue mathematische Methoden für die Untersuchungen erforderlich. In einer Ungleichungsbedingung zum Ausschluss von Selbstdurchdringung wird die nichtlokale geometrische Größe des globalen Krümmungsradius, welche speziell für diesen Zweck eingeführt und umfassend untersucht wurde und welche auch für andere geometrische Probleme von Interesse ist, benutzt. Inzwischen wurde nachgewiesen, dass das so formulierte mathematische Problem stets eine Lösung besitzt, und es konnte eine Gleichgewichtsbedingung hergeleitet werden, die von Deformationen mit minimaler Energie stets erfüllt wird. Unter Berücksichtigung von Selbstkontakt und ohne hypothetische Regularitätsannahmen war die mathematische Herleitung einer solchen Bedingung auch für andere Probleme in der Elastizitätstheorie bisher nicht gelungen. Wesentlich für den Erfolg war die Anwendung von Methoden der nichtglatten Analysis - einer Theorie die vor etwa 20 Jahren für die Untersuchung von Optimierungsproblemen entwickelt wurde und die sich heute bei der Behandlung von Kontaktproblemen in der nichtlinearen Elastizitätstheorie als sehr fruchtbar erweist. Die abgeleiteten Resultate liefern schließlich neue Informationen über die Struktur und die Regularität der Kontaktreaktionen.
Weiterführende Fragen
Neben weitergehenden analytischen Untersuchungen soll nun die Verbesserung der numerischen Methoden mehr in den Mittelpunkt rücken mit dem Ziel, Simulationen für spezielle DNA mit experimentellen Daten zu vergleichen. Dafür sollen bestehende internationale Kooperationen erweitert werden. Ferner ist geplant, dynamische Aspekte in die Untersuchungen einzubinden und thermische Fluktuationen, welche insbesondere für lange Molekülketten relevant sind, in das Modell zu integrieren.
Verwandte Probleme
Elastische Kontaktprobleme sind in vielfältigen Anwendungen anzutreffen und stoßen gegenwärtig insbesondere in der Biologie und Medizin auf großes Interesse. So beobachtet man bei gewissen Bakterien eine ähnliche Spiralisierung wie bei DNA (Abb. 3) bzw. die Bildung von Spiralen mit permanentem Selbstkontakt (Abb. 4, derartige Spiralen erhält man auch bei speziellen optimalen Packungsproblemen). Allgemeinere Kontaktprobleme findet man bei der Berührung von biologischen Membranen bzw. von Organen, deren Untersuchung für Mediziner insbesondere beim Wachstum von Tumoren wichtig ist.

Abb. 3: Superspiralisierung in einer Population des Bakteriums bacillus subtilis, Ausschnitt ca. 120 µm (Bild N.H. Mendelson, Arizona).

Abb. 4: Permanente Selbstberührung beim Bakterium bacillus subtilis, Ausschnitt ca. 5 µm x 5 µm (Bild M.J. Tilby, Newcastle).
Zusammenfassend kann man sagen, dass nichtlineare elastische Kontaktprobleme in vielfältigen Bereichen unseres Lebens eine wichtige Rolle spielen. Für ein tieferes Verständnis dieser Phänomene sind sowohl die Ausarbeitung der mathematischen Grundlagen als auch die Analyse der speziellen Anwendungen von entscheidender Bedeutung.