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Im Gespräch

Interview mit unserem Direktor em. Wolfgang Hackbusch

Veröffentlicht am 20.11.2022

Am 20. November 1998 wurde der Kieler Mathematik-Professor Wolfgang Hackbusch zum Wissenschaftlichen Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft und zum Direktor des Max-Planck-Instituts für Mathematik in den Naturwissenschaften berufen. Bis zu seiner Emeritierung 2014 leitete er die Arbeitsgruppe „Wissenschaftliches Rechnen“. Im Gespräch mit unserem ehemaligen Forschungsgruppenleiter André Uschmajew teilt Wolfgang Hackbusch seine ganz persönlichen Gedanken zur intensiven Zeit an unserem Institut, zum Fachgebiet Mathematik und zur Zukunft der Wissenschaft. Vielen Dank für dieses inspirierende Interview!

Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Hackbusch

Wolfgang Hackbusch, geb. 1948, studierte Mathematik und Physik an den Universitäten Marburg und Köln. Nachdem er in Köln mit einer Arbeit über Mehrgitterverfahren habilitierte, übernahm er 1980 eine Professur an der Ruhr-Universität Bochum. Im Jahr 1982 wechselte er auf die Professur für Praktische Mathematik am Institut für Informatik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. 1999 zog er nach Leipzig. Neben seiner Tätigkeit als Institutsdirektor war er zugleich Honorarprofessor der Universität Leipzig.

Wolfgang Hackbusch ist Gründungsmitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Für seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen erhielt er zahlreiche Ehrungen und Preise, unter anderem den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der DFG (1994) und die Brouwer-Medaille der Niederländischen Mathematischen Gesellschaft (1996). Im Jahr 2000 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Bochum verliehen. Im gleichen Jahr würdigte ihn die Carl Friedrich von Siemens Stiftung mit dem Heinz-Gumin-Preis für Mathematik.

Wolfgang Hackbusch ist bekannt für seine zahlreichen Beiträge auf dem Gebiet der Numerischen Mathematik. Einen Schwerpunkt bilden effiziente Verfahren zur Lösung elliptischer Differentialgleichungen. Er war maßgeblich an der Entwicklung der Mehrgitterverfahren zur iterativen Lösung großer schwachbesetzter Gleichungssysteme beteiligt. Sein Interesse gilt zudem der Behandlung von Integralgleichungen, insbesondere solcher der Randintegralmethode. Hier wurde das Paneel-Clusterungsverfahren entwickelt, das schließlich zur neuartigen Technik der hierarchischen Matrizen führte, die Matrixoperationen auch für große, vollbesetzte Matrizen zulässt.

Prof. Dr. André Uschmajew

André Uschmajew studierte Mathematik an der TU Berlin, wo er auch promovierte. Nach einem Postdoc-Aufenthalt am EPF Lausanne, Schweiz, war er von 2014 bis 2017 als Bonn Junior Fellow Professor am Institut für Numerische Simulation der Universität Bonn und am Hausdorff Center für Mathematik tätig. Ab 2017 leitet er die Forschungsgruppe „Tensors and Optimization“ am MPI MiS. Im Oktober 2022 übernahm er den Lehrstuhl „Mathematical Data Science“ an der Universität Augsburg.

André Uschmajews Forschung behandelt Matrix- und Tensorapproximationen mittels Niedrigrangmodellen, mit Schwerpunkt auf numerischen Tensorverfahren, nichtlinearen Optimierungsverfahren, den zugrunde liegenden Approximationsprinzipien, sowie algebraischen und geometrischen Aspekten. Sein Ziel ist es, ein tieferes Verständnis multilinearer Modelle für Tensoren und deren Nutzung in hochdimensionalen Problemen und modernen Anwendungen zu entwickeln.

Interview

André Uschmajew: Wolfgang Hackbusch, Sie können auf eine sehr erfolgreiche wissenschaftliche Karriere zurückblicken und haben viele grundlegende Beiträge geleistet, für die Sie etliche Auszeichnungen erhielten. Erinnern Sie sich noch, wann und warum Sie sich entschieden haben, Mathematiker zu werden?

Wolfgang Hackbusch: De facto war dies in meinem ersten Semester an der Universität Marburg. In meiner Schulzeit fiel mir das Fach Mathematik sehr leicht und ich verdiente mir damals mein Taschengeld, indem ich Mitschülern Mathematik-Nachhilfe gab. Ich erinnere mich daran, dass mich einmal ein Lehrer darum bat, einen Schüler, der zwei Klassen über mir war, zu unterstützen. Es stellte sich heraus, dass das Thema seines Jahrgangs lineare Algebra war, die mir damals relativ unbekannt war. Nachdem ich mir das entsprechende Lehrbuch am Wochenende durchgelesen hatte, konnte ich ihm den Lehrstoff erklären. Da ich Mathematik aber eher als einfach empfand, war es nicht wirklich herausfordernd für mich. Ich fühlte mich vielmehr zur Chemie hingezogen, und so kam es dazu, dass ich mich zu Beginn meines Studiums an der Universität Marburg für Chemie mit Mathematik als Nebenfach eingeschrieben habe. Leider stellte sich heraus, dass sich die Termine für das Chemiepraktikum mit den Mathematikvorlesungen überschnitten. Also beschloss ich, Mathematik als Haupt- und Physik als Nebenfach zu belegen. Nebenbei besuchte ich noch die Vorlesungen in experimenteller Chemie. Während dieses ersten Semesters – ich hatte einen guten Lehrer in Analysis – habe ich dann verstanden, dass Mathematik eine wirklich interessante und herausfordernde Angelegenheit ist.

Sie haben sich mit recht unterschiedlichen Forschungsthemen beschäftigt, die jedoch alle durch die gemeinsame Problematik der effizienten Lösung riesiger Gleichungssysteme verbunden sind. Wie sind Sie auf dieses Forschungsthema gekommen?

Ich war von Anfang an besonders an Algorithmen interessiert, was mein Interesse an Numerischer Mathematik mit sich brachte. In meiner Doktorarbeit habe ich mich mit der Extrapolation für hyperbolische partielle Differentialgleichungen befasst, einer effizienten Methode, um Konvergenz höherer Ordnung zu erreichen. Danach habe ich mich den elliptischen Problemen und deren Diskretisierung zugewandt und wurde mir eines schweren Dilemmas bewusst, unter dem die damals verwendeten iterativen Verfahren litten: Je größer das lineare Gleichungssystem, desto langsamer die Konvergenz. Schnelle Löser gab es nur für das Poisson-Problem in einem Quadrat. Das war die Zeit, in der ich die Idee des Mehrgitterverfahrens entwickelte.

Die Mehrgittermethode könnte auch auf Integralgleichungen angewendet werden. Mein Interesse an Integralgleichungen wurde dadurch geweckt, dass ich engen Kontakt zu Ingenieurkollegen aus der Strömungsdynamik hatte, die Randelementmethoden verwendeten. Als Ergebnis dieser Diskussionen habe ich verstanden, dass schnelle Konvergenz für Effizienz nicht ausreicht. Ein weiterer Engpass ist die Tatsache, dass die zugrunde liegenden Matrizen voll besetzt sind. Dies brachte mich zur Entwicklung der Panel-Clustermethode und später zu hierarchischen Matrizen. In diesem Sinne würde ich sagen: Nicht ich habe mich für ein Forschungsthema entschieden, sondern die Forschung selbst hat mich von einem Thema zum nächsten geführt.

Mit meiner Forschung zu Tensoren verhält es sich ähnlich. Nachdem wir gelernt hatten, wie vollbesetzte Matrizen mit nahezu linearer Komplexität behandelt werden können, war es naheliegend, ähnliche Techniken auf Tensoren anzuwenden. Der gemeinsame Nenner all dieser Verfahren ist die Baumstruktur, die übrigens schon von Gauß für die schnelle Fourier-Transformation verwendet wurde.

Betrachtet man Ihre Publikationen, so fällt auf, dass Sie sowohl Arbeiten zu sehr praktischen Problemen wie der effizienten Implementierung von Lösern als auch zu eher abstrakten Fragestellungen wie Banachräumen von Tensoren verfasst haben. Sehen Sie einen Unterschied zwischen reiner und angewandter Mathematik?

Natürlich haben die reine und die angewandte Mathematik unterschiedliche Ansätze. Die reine Mathematik befasst sich mit Gegenständen der Mathematik selbst, während die angewandte Mathematik eine Fragestellung außerhalb der Mathematik hat. Dabei kann es sich entweder um ein naturwissenschaftliches Problem oder um die Verwendung eines Rechengeräts wie eines Computers handeln, was es beispielsweise in der numerischen Mathematik geschieht. Ich bin eher motiviert, ein Problem zu untersuchen, das einen praktischen Bezug hat, z. B. die Verbesserung eines Algorithmus. Häufig wandeln sich jedoch die in der angewandten Mathematik erzielten Ergebnisse später in Themen der reinen Mathematik um. Als ich anfing, mich mit der numerischen Mathematik zu befassen, hatte diese nicht den besten Ruf, was unter anderem daran lag, dass die Forschungsthemen etwas isoliert von anderen Bereichen der Mathematik erschienen. Nehmen wir das Beispiel der Diskretisierung von partiellen Differentialgleichungen. Hier betrachtete man ein einzelnes diskretes Problem. Typische Eigenschaften von Matrizen waren positive Definitheit oder Nichtnegativität. Damit konnte man die Konvergenz einiger iterativer Verfahren nachweisen, aber es stellte sich heraus, dass der Konvergenznachweis von Mehrgitterverfahren andere Werkzeuge erfordert. Die wichtigste Beobachtung war, dass man eine Abfolge von Diskretisierungen statt einer einzelnen untersuchen muss. Ein solcher Ansatz verbindet die numerische Mathematik mit der Funktionalanalysis und der Approximationstheorie. Ich denke, es gibt mehrere solcher Beispiele.

Sie haben auch mehrere Bücher geschrieben, von denen viele zu den Standardwerken im Fachbereich zählen. Wie sind Sie an diese Buchprojekte herangegangen?

Mein erstes Buchprojekt handelte von Mehrgitterverfahren. Hier wollte ich meine numerischen und theoretischen Ergebnisse in einer einheitlichen Form darstellen. Die späteren Bücher basieren auf meinen Vorlesungen an der Universität Kiel. Im Fall der elliptischen PDEs habe ich beispielsweise versucht, eine Kombination aus der Theorie der PDEs und ihrer Diskretisierung zu präsentieren. In Standardbüchern werden diese beiden Aspekte in der Regel getrennt behandelt, doch ist es aufschlussreicher, die Analogien zu sehen. Im Falle der iterativen Methoden war ich mit den vorhandenen Büchern nicht zufrieden. Auch hier habe ich nach ersten Versionen, die als Vorlesungen gehalten wurden, das Buch über iterative Methoden geschrieben. Die Geschichte der späteren Bücher ist ähnlich.

Als Sie Direktor am MPI MiS Leipzig wurden, war das Institut erst wenige Jahre alt. Wie erinnern Sie sich an diese Anfangsphase des Instituts?

Das Institut war bereits gut etabliert. Als ich in Leipzig anfing, war dies genau der richtige Zeitpunkt für meine Projekte. In Kiel war die finanzielle Unterstützung durch den Leibniz-Preis ausgelaufen, und ich wollte in dieser Zeit die neu entwickelte Technik der hierarchischen Matrizen erforschen. Mein Start in Leipzig ermöglichte es mir, mehrere Studenten aus Kiel an das Max-Planck-Institut zu holen und ein breites Forschungsprogramm zu diesem neuen Thema zu initiieren.

Hat der Wechsel ans MPI Leipzig Ihre Art zu forschen oder eine Gruppe zu leiten beeinflusst?

Wie bereits erwähnt, habe ich während meiner Zeit an der Universität Kiel den Leibniz-Preis erhalten, der es mir ermöglichte, eine größere Anzahl von Projekten zu finanzieren und dort eine respektable Gruppe von Doktoranden aufzubauen. In dieser Hinsicht war das MPI Leipzig eine Fortsetzung meiner Arbeit unter noch besseren Bedingungen. Ich konnte zahlreiche Projekte zu theoretischen Fragestellungen, zu Implementierungen und zu Anwendungen auf den Weg bringen, alle mit sehr fruchtbaren Ergebnissen. Wäre ich an der Universität Kiel geblieben, hätte ich zunächst einige Artikel veröffentlichen und dann Forschungsgelder beantragen müssen, um die Arbeit fortzusetzen zu können. Dies hätte Zeit gebraucht, und in der Zwischenzeit wären andere Gruppen in dieses Thema eingestiegen. Das Umfeld des MPI hat es mir ermöglicht, schneller voranzukommen.

Wie haben Sie persönlich Leipzig in dieser Zeit erlebt?

Ich war sehr gerne in Leipzig. Die Stadt hat sich unglaublich schnell entwickelt. Auf der anderen Seite hat Leipzig eine reiche Geschichte, insbesondere was die Musik betrifft. Ich habe oft Konzerte im Gewandhaus besucht.

Ein wichtiger Grund für die Wahl von Leipzig als Standort für das neue Institut war sicherlich, das wissenschaftliche Netzwerk im Osten Deutschlands zu erweitern. Hatten Sie schon vor der Wiedervereinigung Kontakt zur Mathematik in der DDR?

Ja, ich war in engem Kontakt mit Kollegen in Rostock, Dresden, Halle, Karl-Marx-Stadt (Chemnitz). Ich war mehrmals in Karl-Marx-Stadt, wo Ulrich Langer in der DDR Workshops über Mehrgittertechnik organisierte. Außerdem hatte ich Einladungen zu Vorträgen in Berlin (Humboldt-Universität), Greifswald und Wismar. Weitere Gelegenheiten, Kollegen aus der DDR zu treffen, hatte ich auf Konferenzen in Prag und Sofia.

Seit der Gründung des Instituts vor 26 Jahren haben sich die Bedingungen für wissenschaftliches Arbeiten und Bildung durch das Internet, die Digitalisierung und die Menge der verfügbaren Informationen stark verändert. Wie sehen Sie die Forschung und die Rolle der Mathematik in der Zukunft?

Die technischen Bedingungen haben sich verbessert, aber die Methoden Mathematik zu betreiben sind mehr oder weniger dieselben geblieben, sogar in der Numerischen Mathematik, denke ich. Sehen Sie sich zum Beispiel die Entwicklung von Computern an. Meine ersten Computerprogramme wurden auf Lochkarten geschrieben und es dauerte einen Tag, um das Ergebnis zu erhalten. Dennoch sind die in dieser Zeit erzielten grundlegenden Erkenntnisse in der numerischen Mathematik nach wie vor relevant.

Welchen Rat geben Sie jungen Wissenschaftlern / Mathematikern, die eine akademische Karriere anstreben, mit auf den Weg?

Die Wissenschaft sieht sich heute mit härteren Bedingungen konfrontiert. Was die Forscherinnen und Forscher in meiner Gruppe betrifft, so habe ich versucht, ihnen die Möglichkeit zu geben, interessante Forschungsresultate zu veröffentlichen. Heutzutage scheinen die Anzahl der Veröffentlichungen und Zitierungen wichtiger zu sein als die tatsächliche Bedeutung der Ergebnisse. Dies zwingt junge Forscher, sich an den wichtigsten Schlagwörtern zu orientieren, um somit eine größtmögliche Zielgruppe zu erreichen. Das ist nicht das, was ich mag und wie ich persönlich gehandelt habe.

Was sind Ihre Pläne und Ziele für die Zukunft?

Ich habe keine ambitionierten Pläne, aber es gibt durchaus noch einige offene Fragen, an denen man arbeiten könnte.

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